Vertrieb vs. Produktion – Wenn Bereiche auseinander navigieren
Jedes Unternehmen gliedert sich in verschiedene Bereiche mit differenzierten Tätigkeiten. Auf diese Weise können Aufgaben spezialisiert angegangen und mit maximaler Effizienz durchgeführt werden. Zwei der wichtigsten Bereiche liegen hierbei im Vertrieb und in der Produktion. Aber nicht selten geht den separierten Unternehmensbereichen der Blick für das Gesamtkonstrukt verloren. So liegt das Bestreben eines Mitarbeiters im Vertrieb häufig in der Maximierung der Verkaufsmengen. Wohingegen die Produktion bestrebt ist, die Wünsche des Kunden in Anforderungen an Material und Qualität zu 100% zu erfüllen. Doch maximaler Absatz oder maximale Qualität im individuellen Bereich bedeutet nicht immer maximaler Gewinn für das Unternehmen als Ganzes. Wenn die Bereiche nicht gemeinsam demselben Ziel folgen, werden sie sich gegenseitig schwächen.
Divergenz 1: Nicht ausreichende Abstimmung
Immer wieder werden wichtige Kennzahlen in Unternehmen nicht (richtig) erfasst oder nicht global kommuniziert. In diesen Fällen wird der Vertrieb wichtige Kennzahlen zur Auslastung und Kapazität der Produktion nicht kennen und kann diese folglich auch nicht in den Planungen des Vertriebs berücksichtigen.
Nehmen wir einmal an, Sie können in Ihrer Produktion durchschnittlich 12 Tonnen Stahl am Tag erzeugen bei normaler Auslastung. Effekte wie Störungen, Maschinenausfälle lassen wir einmal außen vor. Davon wird die Produktion im Sinne der Kundenanforderungen 10 Tonnen I.O. (in Ordnung) produzieren.
Die Produktion wird also jeden Tag 10 Tonnen für den Verkauf produzieren.
Das Bestreben des Vertriebs ist es einen möglichst hohen Absatz zu generieren.
So wird der Vertriebler, kennt er die Kapazitäten und Auslastungen der Produktionsbereiche nicht, bspw. 200 Tonnen Stahl beim Kunden verkaufen. Diese müssen in 3 Wochen (15 Arbeitstagen) geliefert werden.
Die Produktion kann in 15 Tagen bei 100% Auslastung 150 Tonnen I.O. erzeugen.
Die Produktion müsste nun auf ca. 130% Auslastung laufen, um die gewünschten 200 Tonnen in den 3 Wochen zusammenzubekommen. Schon unter normalen Bedingungen eine aufreibende Herausforderung verbunden mit zusätzlichen Schichten, Überstunden und Maschinenverschleiß.
Divergenz 2: Realität vs Plan
In Zeiten nach schweren Lockdowns oder Krankheitswellen wegen Corona oder ähnlichen Effekten werden die Kapazitäten in den einzelnen Bereichen oftmals geringer. Während administrative Bereiche ihre Tätigkeiten ins Homeoffice verlagern können, ist dies in der Produktion nur selten möglich. Die Konsequenz: Kapazitäten sinken.
Auf der einen Seite wollen die Märkte nach teilweisen Werksschließungen und Produktionsausfällen versuchen, verlorenen Absatz nachzuholen, und der Vertrieb kann große Mengen verkaufen.
Auf der anderen Seite stehen Produktionsbereiche, die Aufgrund der Schließungen Mitarbeiter in der Kurzarbeit oder durch Corona Erkrankungen noch keine volle Belegschaf haben, sowie Produktionsstraßen, die erst noch anlaufen müssen. Die Produktionskapazitäten werden also voraussichtlich unter dem Durchschnitt liegen, da oftmals vor allem Mitarbeiter fehlen oder neue Arbeiter erst noch eingearbeitet werden müssen.
Wir haben also eine realistische Produktionsmenge von bspw. nur noch 11 Tonnen pro Tag. Das verbunden mit größeren qualitätsbedingten Ausfällen der Produkte, wegen unerfahrener neuer Mitarbeiter, kann man hier aktuell mit 8 Tonnen I.O. rechnen. Nun muss die Produktion für den Auftrag schon auf 166% der aktuell realistischen Auslastung fahren, um den Auftrag zu erfüllen.
Divergenz 3: Ungleiche Zielsetzungen
Im Sinne des KVP (Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses) ist die Zielsetzung für das laufende Jahr im Vertrieb oftmals eine höhere Quote, als im Vorjahr, abzusetzen. Ebenfalls wird oftmals richtiger Weise mit einem gewissen Prozentsatz an Stornierungen von Kunden gerechnet. In der Konsequenz ist die Zielsetzung für den Absatz häufig bewusst hoch gesteckt. Der Vertriebler, der für besonders hohe Verkaufsquoten dann eine Prämie erhalten wird, wird nun also versuchen weiter Produkte am Markt abzusetzen, beispielsweise durch Mengenrabatte für den Kunden, wenn er statt der 200 Tonnen zum Beispiel sogar 240 Tonnen abnimmt. Dieser stimmt dem im Sinne seiner Kostenoptimierung zu.
Für die 240 Tonnen muss die Produktion hier dann sogar 200% Auslastung fahren. Bei nicht gelingen drohen Vertragsbruch, Konventionalstrafen, Zusatzkosten und letztlich eben Verluste und damit Unwirtschaftlichkeit. Der Vertrieb wird seine Ziele erreichen während die Produktion ihr Ziel, die geforderte Menge in guter Qualität zu liefern nicht erreichen kann.
Spätestens hier wird der Wertstrom unwirtschaftlich. Denn ein Kunde kauft Mengen, die er aktuell vermutlich gar nicht benötigt verbunden mit zusätzlichem Lageraufwand, währen die Produktion Maschinen verschleißt und Menschen überfordert. Verschwendungen an allen Ecken und Enden.
Die Ursachen hierbei sind schnell jedoch schnell ausgemacht:
- Fehlende Kommunikation wichtiger Kennzahlen wie Produktionskapazitäten, Status der Auftragsbücher/Auslastung,
- Falsche Zielsetzungen in den einzelnen Bereichen (manchmal ist weniger mehr)
- Fehlende Austaktung entlang des gesamten Wertstroms (Einkauf, Produktion, Montage, Vertrieb)
Der Schlüssel ist Kommunikation: Ein funktionierendes Shopfloor Management.
Mit den richtigen Informationen an den richtigen Stellen lässt sich nun den Hürden entgegenwirken.
Erhält der Vertrieb genaue Informationen zu den Kapazitäten und Status der Auftragsbücher, weiß er, dass die verkaufte Menge zu groß ist und sich das negativ auf die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens auswirken wird.
Er kann nun den Kunden kontaktieren und nachfragen, ob dieser die bestellte Menge direkt benötigt, oder im Rahmen von dessen eigenen Produktionskapazitäten in mehreren Chargen über weitere Wochen verteilt erhalten möchte.
So kann der Kunde Lagerplatz sparen und erhält im Sinne eines PULL Systems, seine Ressourcen dann, wenn er Sie benötigt. Und die eigene Produktion wird entlastet.
Ziel:
- Kennzahlen müssen in der Produktion korrekt erfasst und global kommuniziert werden im Unternehmen.
- Der Vertrieb soll Produkte absetzen, für die entsprechende Kapazitäten verfügbar sind und dabei optimaler Weise auch auf die Nivellierung der Produktionsplanung Rücksicht nehmen.
- Bei drohendem Verzug sollten Absatzmengen mit dem Kunden neu organisiert werden.
Das Unternehmen kann als Ganzes nur erfolgreich sein, wenn diese beiden Bereiche eng miteinander verknüpft sind und die Kommunikation relevanter Informationen naht- und reibungslos verläuft.